Editorial
DIGITALES KURATIEREN
Zwischen Inhaltsvermittlung und Datensicherung
Inhalt
Vol. 28 (2021), No. 2 [N.F. 110]
IN KONTAKT MIT DEM MEDIUM Am 18. Oktober 2019 brach in Chile eine soziale Krise aus, während der in den folgenden Monaten Millionen Demonstrierende durch das ganze Land zogen. Wie bereits andere Konflikte wird auch dieser durch eine Unzahl von Handyfotos katalysiert.
FOTOGRAFIE UND KURATION IM DIGITALEN Die Fotografie ist digital. Die Leichtigkeit und Effizienz der Bildentstehung und -verbreitung sind so groß, dass die Wichtigkeit der Bildauswahl und der Erschließung weitgehend in Vergessenheit gerät.
DIE KUNSTREPRODUKTIONEN DER FIRMA ADOLPHE BRAUN ET CIE. Im Oktober 2017 begann am Deutschen
Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg (DDK) das Digitalisierungs- und Erschließungsprojekt „KunstreproBraun“.
EDITORIAL
Sonja Feßel
Digitales Kuratieren: Zwischen Inhaltsvermittlung und Daten- sicherung (S. 1)
INHALT
EIN BILD
Birk Weiberg
Fotografische Rohdaten: Zur Sicht-barmachung von Ed Ruschas Straßen-fotografie
(S. 4–6)
MEDIENGESCHICHTE
Matthias Johannes Pfaller Schmid
In Kontakt mit dem Medium:
Die chilenische Krise im Live- stream der Galería CIMA
(S. 7–15)
DIGITALISIERUNG
Vera Chiquet und Peter Fornaro
Fotografie und Kuration im Digitalen
(S. 16–24)
ERSCHLIESSUNG
Franziska Scheuer und Sonja Feßel
Die Kunstreproduktionen der Firma Adolphe Braun et Cie.: Zum Digitalisierungs- und Erschließungsprojekt am Deutschen Dokumentations- zentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg
(S. 25–40)
AUSSTELLUNGEN
Gisela Parak
„Das Andere sehen? Der Kolonialistische Blick“: Eine Open-Air- Ausstellung im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven
(S. 41–50)
LITERATUR
Rezensionen
Rolf Sachsse
Das Angebot der Architektur:
Das Wohnbauprogramm des „Roten Wien“ in Veröffentlichungen mit Texten und Bildern
(S. 51/52)
Neu eingegangen
Zeitschriftenauswertung
PERSONALIA
Dorothee Linnemann
Abschied von einer Arbeitsfreundin: Nachruf auf Martha Caspers (1954–2021)
(S. 56)
DE-Frankfurt am Main: Kristina Lemke wird neue Sammlungs- leiterin für Fotografie am Städel Museum (S. 57)
MITTEILUNGEN
Fortbildung
Termine
IMPRESSUM
ABSTRACTS
IN KONTAKT MIT DEM MEDIUM
Die chilenische Krise im Livestream der Galería CIMA
Am 18. Oktober 2019 brach in Chile eine soziale Krise aus, während der in den folgenden Monaten Millionen Demonstrierende durch das ganze Land zogen. Wie bereits andere Konflikte wird auch dieser durch eine Unzahl von Handyfotos katalysiert. Eine besondere Bedeutung hat der Livestream der Galería CIMA auf YouTube erlangt. Er avancierte zu einer Informationsquelle über das aktuelle Menschenaufkommen und das Eingreifen der Polizei. Der Marsch vom 25. Oktober mit 1,2 Millionen Teilnehmenden wurde nur über die weitwinklige Sicht auf den Hauptplatz Santiago de Chiles in seinem ganzen Ausmaß fassbar. Aktivistinnen und Aktivisten richten darüber hinaus Interventionen speziell auf die Webcam aus. Straßenschriftzüge, Banner und Laserpointer stellen dabei einen Kontakt zwischen dem Geschehen und der Kamera her. Als Medium mit fotografischen Eigenschaften übermittelt der Livestream diese Inhalte, welche wiederum in der Online Kommunikation aktualisiert und vergegenwärtigt werden. Zugleich wird das Aufgenommene durch den Livestream und seine Bilder archiviert.
FOTOGRAFIE UND KURATION IM DIGITALEN
Die Fotografie ist digital. Die Leichtigkeit und Effizienz der Bildentstehung und -verbreitung sind so groß, dass die Wichtigkeit der Bildauswahl und der Erschließung weitgehend in Vergessenheit gerät. Das Resultat sind große Bildermeere, die zwar offen, zugänglich und auch langfristig verfügbar sind, die relevanten Inhalte sind aber nur schwer zu finden, da die Methoden und Technologien zur computerunterstützten Erschließung und Kuration noch weitgehend fehlen. Im vorliegenden Text zeigen wir Ansätze für die digitale Kuration, um so Bildinhalte und Bildkontexte für die digitale Arbeit bereitzustellen. Vor allem intelligentes Lernen kann zielführend eingesetzt werden, um diese Arbeit zu unterstützen. Die Kuration als Verfahren wird im Digitalen zunächst als Maßnahme zum Datenerhalt verstanden. Kuration ist aber weit mehr und sie ist aufgrund der wachsenden digitalen Fotobestände wichtiger als je zuvor, um Wissen, Geschichte und Kultur zu überliefern.
DIE KUNSTREPRODUKTIONEN DER FIRMA ADOLPHE BRAUN ET CIE.
Zum Digitalisierungs- und Erschließungsprojekt am Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg
Im Oktober 2017 begann am Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg (DDK) das Digitalisierungs- und Erschließungsprojekt „KunstreproBraun“. Ziel des dreijährigen Vorhabens unter der Leitung von Prof. Dr. Hubert Locher, Direktor des DDK, waren die Inventarisierung, Digitalisierung, Katalogisierung und Online-Bereitstellung von über 14 500 Kohledrucken des von Adolphe Braun Mitte des 19. Jahrhunderts gegründeten, elsässischen Fotografenunternehmens. Bei der Publikation der hochaufgelösten Digitalisate, welche das Studium sämtlicher Objekte im „Bildindex der Kunst und Architektur“ erlaubt, wurde besonderer Wert auf die Erfassung von Informationen aus historischen Quellen gelegt. Durch das OCR-basierte Auslesen von Verkaufskatalogen ist es nun nicht nur möglich, die abgebildeten Kunstwerke zum Zeitpunkt und im Zustand ihrer Reproduktion zu studieren, sondern die Daten ermöglichen auch Einblicke in Provenienz- und Sammlungsgeschichten sowie das Nachvollziehen von Zuschreibungsveränderungen. Darüber hinaus lassen sich Erkenntnisse zur Produktion und zur Firmen- sowie Vertriebsgeschichte der ‚Maison Braun‘ gewinnen.
„DAS ANDERE SEHEN?
DER KOLONIALISTISCHE BLICK“
Eine Open-Air-Ausstellung im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven
Mit der Ausstellung „Das Andere sehen? Der kolonialistische Blick“ zeigt das Deutsche Schifffahrtsmuseum – Leibniz-Institut für Maritime Geschichte (DSM) in Bremerhaven vom 18. April bis zum 31. Oktober 2021 eine Auswahl von Fotografien aus seinen Beständen historischer Reisealben als skulpturale Installation im öffentlichen Raum. Im Zuge der gesellschaftlichen Verantwortung im Umgang mit dem Erbe des Kolonialismus unterzieht auch das 1975 eröffnete Museum seine Sammlungen einer kritischen Prüfung. In der Kategorie der „Seemannsmitbringsel“ wurden von den Kuratoren ab den 1970er Jahren von Matrosen der wilhelminischen Marine aus den Kolonien mitgebrachte Souvenirs gesammelt, bei denen es sich um eigens für den Verkauf produzierte Erinnerungsstücke und touristische Massenprodukte ohne spezielle Bedeutung für die Kulturen der Herkunftsländer handelt. Wie stark die Ideologie des Kolonialismus die Wahrnehmung fremder Kulturen durch das wilhelminische Bürgertum – und somit auch der Matrosen – determinierte, lässt sich anhand des Sammlungsbestands kolonialgeschichtlicher fotografischer Reise- und Erinnerungsalben in besonderer Weise erörtern.
ENGLISH ABSTRACTS
IN CONTACT WITH THE MEDIUM
The Chilean Crisis Streamed Live by Galería CIMA
On October 18, 2019, a social crisis erupted in Chile. In the following months, millions of protesters marched across the country. Like other conflicts, this one has been catalyzed by a myriad of cell phone photos. The livestream of the Galería CIMA on YouTube has acquired a special significance. It has advanced to a source of information about the current crowd and the intervention of the police. The march on October 25, with 1.2 million participants, only became comprehensible in its full extent through the wide-angle view of Santiago de Chile’s main square. Activists have also been directing interventions specifically at the webcam. Street lettering, banners, and laser pointers have been establishing contact between the action and the camera. As a medium with photographic properties, the livestream transmits this content, which in turn is updated and visualized in online communication. At the same time, what is recorded is archived by the livestream and its images.
PHOTOGRAPHY AND CURATING
IN THE DIGITAL
Photography is digital. The great ease and efficiency with which pictures can be taken and disseminated mean that the importance of choosing and exploiting the right image has been largely forgotten. This results in vast floods of images and although these are open and accessible and continue to be so over a long period of time, the relevant content is difficult to find because the methods and technologies for accessing and curating them are, to a great extent, still not in place. In this article, we indicate approaches to digital curation allowing users to prepare image content and pictorial contexts for digital processing. Intelligent learning can be used in a particularly constructive way to facilitate such work in such contexts. In the first instance, curation as a process is seen as a means of preserving data in the digital sphere. However, curation is far more and, due to the growing quantities of digital photos, more important than ever for passing down knowledge, history and culture.
THE ART REPRODUCTIONS
BY ADOLPHINE BRAUN ET CIE.
On the Digitization and Indexing Project at the German Documentation Center
for Art History – Bildarchiv Foto Marburg
In October 2017, the digitization and indexing project “KunstreproBraun” was launched at the German Documentation Center for Art History – Bildarchiv Foto Marburg (DDK). The goal of the three-year venture, led by Prof. Dr. Hubert Locher, director of the DDK, was to inventory, digitize, catalog, and make available online more than 14,500 carbon prints from the Alsatian photography company founded by Adolphe Braun in the mid-19th century. During the publishing process of the high-resolution digital copies, which allow the study of all objects in the database “Bildindex der Kunst und Architektur”, special emphasis was placed on the retrieval of information from historical sources. Through the OCR-based reading of sales catalogs, it is now possible not only to study the depicted artworks in the condition and time of their reproduction, but the data also allows insights into provenance and collection histories as well as the tracing of changing attributions. In addition, new observations concerning production processes as well as insights into the distribution history of the ‘Maison Braun’ can be gained.
SEEING THE OTHER?
THE COLONIAL GAZE
An Open-Air Exhibition at the German Maritime Museum in Bremerhaven
With its exhibition “Das Andere sehen? Der kolonialistische Blick” (“Seeing the Other? The Colonial Gaze”) the German Maritime Museum – Leibniz Institute for Maritime History (DSM) in Bremerhaven is presenting a selection of photographs from its inventory of historic travel albums as a public-space sculptural installation from April 18 through October 31, 2021. As part of its social responsibility in handling the legacy of colonialism, this museum, which opened in 1975, is also critically reviewing its collections. As of the 1970s, the DSM curators had been collecting mementos brought back from the colonies by seamen of the Wilhelmine navy. These souvenirs were produced specifically for sale as mass tourist products and were of no particular significance for the cultures of the countries of origin. The extent to which the ideology of colonialism determined the perception of foreign cultures by the Wilhelmine bourgeoisie – and thus also by the sailors – can be discussed particularly using the collection of photographic travel and souvenir albums relating to colonial history.